Kurz nach der Frankfurter Buchmesse luden Stadtbücherei und Domschule Würzburg gemeinsam zum beliebten Literaturabend “Bücher der Saison” ein. Literaturwissenschaftlerin Dr. Isabel Fraas gab uns wieder einen interessanten Überblick über die Buch-Novitäten in diesem Herbst. Uns hat es sehr gefreut, dass das Interesse so groß war und viele an dieser Veranstaltung teilgenommen haben.

Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte und psychische Erkrankungen
Im ersten Teil ihres Vortrags widmete sich die Literaturwissenschaftlerin Isabel Fraas nationalen Autorinnen und Autoren. Viele der im Herbst veröffentlichten Romane befassen sich mit der eigenen Familiengeschichte (Henning Sussebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt) und mit der Erkundung des familiären Erbes. Dies kann auch die Auseinandersetzung mit einzelnen Familienmitgliedern sein (Bettina Flitner: Meine Mutter), aber auch mit psychischen Erkrankungen, die in der Familie auftraten. So befasst sich Autor Leon Engler in seinem Roman „Botanik des Wahnsinns“ damit, warum so viele in seiner Familie krank sind/waren und mit der Angst, dass dieser „Wahnsinn“ weitervererbt werden könnte.
Das Leben mit einer bipolaren Störung ist Thema im Roman „Haus zur Sonne“ von Thomas Melle. Die Geschichte entwickelt sich immer mehr zur Dystopie. Thomas Melle schreibt satirisch und zynisch über eine ganz besondere Institution, die quasi den begleiteten Suizid „verschreibt“. Ein lesenswerter Roman, der dieses Jahr auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand.
Roman mit großem Medienecho
„Lázár“ von Nelio Biedermann hat bereits vor Erscheinungstermin ein sehr großes Medienecho hervorgerufen. Unsere Referentin merkte an, dass der Historien-Roman von Kritiker:innen verschieden aufgenommen wurde. Das sinnliche und plastische Schreiben des Autors wird sehr gelobt, allerdings werden viele Motive im Roman nur angerissen und nicht ausformuliert, so dass der stringente Erzählfluss ins Stocken gerät.
Internationale Autorinnen und Autoren
Auf internationale Ebene empfahl unsere Referentin zahlreiche Romane an verschiedenen Schauplätzen der Welt, die Familien- und Zeitgeschichte verbinden. Gewalttätige Ereignisse, wie der Völkermord in Ruanda wirken in „Jacaranda“ von Gaël Faye bis in die Gegenwart hinein und fordern eine Aufarbeitung der eigenen Familien-Traumata. Zudem stellt der Roman das Thema Kolonialismus in den Fokus.
Besonders hervorgehoben hat Isabel Fraas den Roman „Öffnet sich der Himmel“ von Séan Hewitt. Die Geschichte spielt in der englischen Provinz Anfang der 2000er Jahre und ist ein Coming-of-Age Roman. Unsere Referentin ist begeistert von diesem Roman, der mit seiner lyrischen und poetischen Sprache überzeugt. Kein Wunder: der irische Autor ist ein hochgelobter Lyriker.
Eine weitere große Empfehlung sprach Isabel Fraas für „Lilianas unvergänglicher Sommer“ von Cristina Rivera Garza aus. Mit diesem Text möchte die Autorin das Andenken ihrer Schwester bewahren, die einem Femizid in Mexiko zum Opfer fiel. Der Mord wurde niemals aufgeklärt, Ermittlungsakten verschwanden. Garza verwendet Berichte, Interviews und Zeugenaussagen in ihrem Roman. Eine wichtige Lektüre, wenngleich ein gewaltsames Werk, das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.
Schwarzer Humor mit Ingrid Noll
Zum Schluss machte Isabel Fraas auf den neuen Roman von Ingrid Noll aufmerksam. Die mittlerweile 90-jährige Autorin ist für ihre Romane mit der perfekten Mischung aus schwarzem Humor und Verbrechen bekannt. Diesmal stellt sie in „Nachteule“ eine jugendliche Protagonistin mit einer besonderen Gabe in den Mittelpunkt ihres Romans.
Ihr sieht, euch erwartet ein tolles, literarisches Potpourri. Wir wünschen euch viel Freude bei euren Literatur-Entdeckungen und natürlich beim Lesen!
Hier findet ihr die vollständige Liste der vorgestellten Bücher. Alle Bücher könnt ihr bei uns ausleihen:

Leon Engler: Botanik des Wahnsinns
Henning Sussebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt
Benjamin Wood: Der Krabbenfischer
Séan Hewitt: Öffnet sich der Himmel
Sylvain Prudhomme: Der Junge im Taxi
Benjamin Koppel: Großmutter Geheimnis
Cristina Rivera Garza: Lilianas unvergänglicher Sommer
