Der größte Bibliothekskongress der Tschechischen Bibliotheken fand dieses Jahr in Olomouc statt. Die Themenschwerpunkte waren ein weites Spektrum von Sicherheit, Work-Life-Balance von Mitarbeitenden und Kunden, Demokratie und Demokratiebildung bis hin zur Kollaborativen Bibliothek. Unsere Kollegin Eva Baumann war dabei und berichtet!
Ankunft in Olomouc
Da die Anreise von Würzburg bis nach Olomouc fast einen ganzen Tag dauert, wurde uns ermöglicht, einen Tag vor der Konferenz anzureisen. Die Fahrt über Prag verlief ohne Verzögerung, so dass ich unmittelbar an einem inspirierenden Vortrag von Mayssa Joni über die öffentliche Bücherei Amsterdam (oba) für die Mitarbeitenden der öffentlichen Stadtbücherei Prag teilnehmen konnte.
Am Abend des Anreisetages habe ich bei einem gemeinsamen Abendessen die Referenten aus Belgien, Niederlanden und Deutschland kennen gelernt und wir sind zu einem regem Wissensaustausch gekommen.
Bibliotheken der Gegenwart
Am nächsten Tag, nach einem kurzen Eindruck der schönen Altstadt von Olomouc startete am Nachmittag die Konferenz „Knihovny současnosti – Bibliotheken der Gegenwart“ in den Räumlichkeiten der juristischen Fakultät der hiesigen Universität. Sehr inspirierend waren die Vorträge von Mikkel Christoffersen (Direktor von EBLIDA) „Bibliotheken im digitalen Informationsraum und Demokratie – eine europäische Sichtweise“ und „die Bibliothek als eine Plattform-Organisation“ von Ruel van den Siegtenhorst (Muntpunt Public Library Brussel). Wie so häufig wurde immer wieder die Frage gestellt: Was macht die Identität der Bibliothek aus? Herr Christoffersen betonte in seinem Vortrag, dass es Auftrag der Bibliotheken ist, Demokratiebildung aktiv zu gestalten. Demokratie muss gelebt werden, gleichzeitig stellt es immer wieder eine große Herausforderung dar, junge Leute zu aktivieren. Sie brauchen in irgendeiner Form den „Kick“ und das Gefühl, gehört zu werden, das Vertrauen, dass ihre Meinung zählt und sie etwas bewirken können bzw. sie daraus einen Mehrwert für sich bekommen können.
Bibliotheken müssen ihre neue Rolle finden, da die Bibliothek nicht mehr das Alleinstellungsmerkmal hat, die Menschen mit Informationen zu versorgen. Aktuell ist diesbezüglich das Internet das meistgenutzte Medium. Van den Siegtenhorsts Grundgedanke lautet, eine Rolle für die Bibliothek zu finden und diese für die nächsten 100 Jahre zu verstetigen. Die Bibliothek soll zu einer Plattform-Organisation werden, um in Zukunft viel flexibler mit Veränderungen in der Gesellschaft umgehen zu können. So könnte wieder eine klare Rolle nach außen kommuniziert und Kooperationen in vieler Hinsicht (z. B. Raum und Experten) ermöglicht werden.
Sehr interessant war auch der Preis „Bibliotheca inspirans“, der in diesem Jahr an Bibliotheken für ihre außergewöhnliche Sorgfalt für das Wohlbefinden und die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verliehen wurde. 36 Bewerbungen sind eingegangen und 9 Bibliotheken, die sich nun über eine kleine Finanzspritze freuen können, haben den Preis gewonnen. Best-Practice-Beispiele aus den Bibliotheken waren u.a. gemeinsame Grillpartys, Eis im Gefrierfach, gemeinsame Sporteinheiten oder 1:1 Schulungen.
Ein gelungener Ausklang für den 1. Konferenztag war die Konferenzparty, die zum Austausch und gemeinsamen Essen einlud.
Austausch und inspirierende Projekte
Am 2. Konferenztag gab es ein großes Angebot an Vorträgen, Workshops und einer Werbematerialtauschbörse. Manche Bibliotheken oder Regionen hatten neben Lesezeichen oder Postkarten, auch Tassen, Frisbees und Regenschirme mitgebracht. Einen weiteren Einblick konnte ich zum Thema Kollaborative Bibliothek gewinnen oder wie gemeinsam Neues geschaffen werden kann. Diverse Projekt einzelner Bibliotheken wie z.B. das Format Pub Quiz oder der Gemeinschaftsgarten wurden ebenso vorgestellt wie die Beteiligung an der Crystal Valley Week in Liberec, in der es stark um regionale Identität geht. Aus Polen wurde ein Projekt vorgestellt, das die Menschen zum Lesen durch Spielen animieren soll. „Wir sind im Jahrhundert des Spielens angekommen“, so eine Aussage aus dem Vortrag und nachdem es in Polen 50 % Nichtleser gibt, gilt es hier, dagegen zu steuern. Bücher dienen sehr vielen Brettspielen oder Konsolenspiele als Vorlage. Mittels einer App wird ein Spiel/Skript auf der Grundlage eines Buches mit einer interaktiven Karte ausgearbeitet. So versuchen die Kolleginnen und Kollegen in Polen durch die Spiele-Events die Angst vor Bibliotheken und Büchern zu nehmen und gleichzeitig die Menschen zu unterhalten.
Am Nachmittag stellte Mayssa Joni das Projekt der oba (Openbare Bibliotheek Amsterdam) „Seniors in the Neighborhood“ vor. In der anschließenden Diskussion ging es um Randgruppen als Zielgruppen von Bibliotheken; dabei wurden u.a. Strategien zu folgenden Fragen überlegt: „Wie komme ich an diese heran? Wie kann ich Senioren aktivieren, selbst Aktivitäten mitzugestalten? etc.“ Dabei kristallisierte sich klar heraus, dass die Kontaktaufnahme entscheidend ist – „change the question – ask after skills“
Beeindruckend war die architektonische Lösung der Treppe zum 1. Stock (siehe Bild). Auf der rechten und linken Seite im Erdgeschoss ist jeweils die Bibliothek der juristischen Fakultät, die mit einer Glaswand abgetrennt ist, angesiedelt. Während man die Treppe hochläuft, schaut man direkt auf eine Pflanzenwand oder rechts und links in die Bibliothek.
Fazit
Es war sehr inspirierend, über den Tellerrand zu schauen und einen Einblick in die tschechische Bibliothekswelt zu bekommen. Die fremde Sprache war zwischendurch ein Hindernis, wodurch ich mit nicht ganz so vielen tschechischen Kolleginnen in den Austausch kommen konnte, wie ich es mir gewünscht hätte, um dabei noch mehr über die Strukturen des Bibliothekssystems in Tschechien lernen zu können. Nichtsdestotrotz ist es mir gelungen, mich punktuell sehr gut auszutauschen. Für den Wissensaustausch war darüber hinaus die Möglichkeit, gemeinsam mit einem Kollegen aus Deutschland die Konferenz besuchen zu dürfen, sehr bereichernd.
Die hier geschilderten tollen Erfahrungen konnte ich dank der Einladung des tschechischen Bibliotheksverbandes und der finanziellen Unterstützung von BI-International und dem Goethe-Institut verwirklichen.