Das Buch "Die anderen Geschlechter" von Dagmar Pauli liegt auf einem Blumenbeet, umgeben von Blüten in den trans und nonbinären Pride-Farben weiß, lila, rosa, gelb und hellblau.
© Stadtbücherei Würzburg / Julia Albrecht

Ich empfehle nicht häufig Sachbücher, aber „Die anderen Geschlechter“ hat mich so beeindruckt und mir so viele Denkanstöße gegeben, dass es einen eigenen Blogartikel verdient hat. Für alle, die mit den Begrifflichkeiten noch nicht so viel anfangen können, hier eine kurze Erklärung:

trans*: Eine Person, die sich nicht mit dem ihr bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert, ist trans*.
cis: Eine Person, die sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert, ist cis.
nonbinär/ nicht-binär: nicht-binär sind Personen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren, sondern auf einem Spektrum zwischen den Polen oder keiner Kategorie zugehörig.
Gender: Gender bezeichnet die Geschlechtsidentität (Wer bin ich?), sie ist unabhängig von der Sexualität (Für wen empfinde ich sexuelle Anziehung?).

Fragen und Antworten rund um Gender

Die Kinder- und Jugendtherapeutin Dagmar Pauli beleuchtet in diesem Buch das Thema Geschlechtsidentität von verschiedensten Seiten. Welche Geschlechtsidentitäten gibt es? (Spoiler: ja, es gibt mehr als zwei, was die Autorin sachlich und verständlich erklärt.) Wie zeigt es sich, wenn das Geschlecht einer Person nicht mit dem übereinstimmt, das der Person bei der Geburt zugeschrieben wurde? Was brauchen gerade trans* Kinder und Jugendliche, um ein erfülltes Leben leben zu können? Und warum macht die bloße Existenz von Menschen außerhalb der binären Geschlechtskategorien manchen Menschen so große Angst, dass sie teilweise in Hass umschlägt? Hat die cis Mehrheitsgesellschaft überhaupt etwas zu verlieren, wenn wir die Existenz von trans* und nonbinären Menschen anerkennen und sie leben lassen, wie sie möchten?

Eine sachliche und facettenreiche Betrachtung

Dagmar Pauli beschäftigt sich mit einer Vielzahl von Themen rund um Genderidentität und beleuchtet diese sachlich und unaufgeregt. Dabei lässt sie ihre Erfahrungen aus ihrer Gender-Sprechstunde und der Begleitung trans* Kinder und Jugendlicher mit einfließen. Auch trans* und nonbinäre Menschen kommen zu Wort und geben einen Einblick in ihr Empfinden, ihre Herausforderungen und ihre Wünsche an unsere Gesellschaft. Ebenso zeigt Dagmar Pauli auf, wie individuell die Begleitung jeder trans* Person ist und wie wichtig Akzeptanz seitens des sozialen Umfelds. Aber auch, wie sorgfältig jeder Schritt der sozialen oder medizinischen Transition mit den Betroffenen abgewogen wird. Sie geht dabei auch auf viele Fragen ein, die cis Menschen und Eltern von trans* oder nonbinären Jugendlichen haben und kann so manche Befürchtungen entkräften.

Für mich sehr aufschlussreich war ein Kapitel, in dem es um die Transfeindlichkeit einiger sich selbst als Feministinnen bezeichnender Menschen geht. Dagmar Pauli entlarvt viele der worst-case-Szenarien, die gegen eine Gleichberechtigung von trans* Menschen angeführt werden, als Scheinargumente. Sie geht darauf ein, woher manche Befürchtungen kommen könnten, zeigt jedoch gleichzeitig auf, warum diese Sorgen unbegründet sind.

Was bringt geschlechtergerechte Sprache?

Auch dem Thema Sprache widmet sich Dagmar Pauli und dem heiß diskutierten Thema Gendern, gegen das sie sich anfangs gesträubt hatte. Sie änderte ihre Meinung jedoch im Laufe ihrer Arbeit mit Menschen, für die es in unserer aktuellen Sprache eben noch keine Worte, keinen Raum, gibt:

„Inzwischen bin ich der Ansicht, dass wir mit unserer Sprache etwas sehr Wichtiges ausdrücken können, wenn wir dazu gewillt sind: Respekt. Respekt vor denn Wünschen eines Menschen, vor dem Anderssein, vor der Einzigartigkeit von Identität und Geschlechtlichkeit. Respekt gegenüber Menschen, denen Begriffe und Pronomen, bei denen es um ihr Geschlecht geht, wichtig sind. […] Es ist leicht, vom hohen Ross einer cis Identität (in der alle Begriffe und Pronomen passen) über die „absurden“ Wünsche von anderen zu urteilen, bei denen das nicht so ist.“

Pauli, Dagmar: “Die anderen Geschlechter” S. 84

Ob man geschlechtergerechte Sprache verwendet oder nicht, ist jedem selbst überlassen, ich tue es, weil ich derselben Meinung bin wie Dagmar Pauli.

Mitdenken, nachdenken, neu denken

Ich bin selbst cis, das heißt, ich identifiziere mich mit dem Geschlecht, das mir bei der Geburt zugewiesen wurde. Ich habe keine Ahnung, wie es sich anfühlt, trans* oder nonbinär zu sein. Das ist für mich auch gar nicht die Voraussetzung dafür, dass ich trans* Menschen respektiere und ihre Gleichberechtigung für mich eine Selbstverständlichkeit darstellt. (Dass diese noch lange nicht erreicht ist, ist eine andere Sache.) Aber ich möchte verstehen, welchen Widrigkeiten trans* und nonbinäre Menschen gegenüber stehen und was ich dafür tun kann, um eine gute Verbündete zu sein. Und ich möchte eine fundierte Basis haben, um transfeindlichen Äußerungen sachliche Argumente entgegensetzen zu können. „Die anderen Geschlechter“ hat mir in all diesen Punkten weitergeholfen, hat die Vielfalt von Geschlechtsidentität anschaulich erklärt, viele meiner Fragen beantwortet und gleichzeitig zum Nachdenken angeregt.

Gleichberechtigung ist nicht optional

Eines der wichtigsten Fazits des Buchs ist für mich: trans* und nonbinäre Menschen existieren und ihre Gleichberechtigung und Selbstbestimmung sollten kein Thema sein, das überhaupt diskutiert werden muss:

„Wir halten fest, dass es sowohl körperlich als auch psychisch Menschen gibt, die zwischen den Geschlechtern stehen. Wir müssen demnach nicht darüber debattieren, ob es biologisch zwei oder mehrere Geschlechter gibt, da dies eine unnötige Definitionsfrage ist. Menschen zwischen den Geschlechtskategorien gibt es offensichtlich. Wir müssen darüber debattieren, wie wir eine Welt schaffen können, in denen sich Menschen aller Varianten von körperlichem und psychischem Geschlecht inkludiert und gesehen fühlen.“

Pauli, Dagmar: “Die anderen Geschlechter”, S. 40

Dem habe ich nichts hinzuzufügen, außer dass dieses Buch wirklich rundum empfehlenswert ist und ich denke, dass gerade cis Menschen, die Fragen zum Thema trans* sein haben, einiges daraus mitnehmen können.

Ein Button mit der Aufschrift "Jetzt lesen" der zum Buch "Die anderen Geschlechter" im Katalog der Stadtbücherei Würzburg führt.

Noch mehr Buchtipps zum Thema LGBTQIA* findet ihr hier.

Diesen Beitrag teilen mit:
Buchtipp: Die anderen Geschlechter
Markiert in:             

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert